Jenö Eisenberger

Jeno Eisenberger
Stadt: Wien
Land: Österreich
Interviewer: Zsuzsi Szaszi / Tanja Eckstein
Datum des Interviews: Oktober 2002/ Oktober 2003

Das erste Mal besuchte ich Jenö Eisenberger in seinem Büro am Getreidemarkt in Wien. Er war sehr nett, beantwortete alle noch offenen Fragen und schenkte mir einen großen Bildband über seine Kunstsammlung.

Dann lud er mich mit Familie in seine Wohnung ein, um weitere Fragen zu beantworten und mir Dokumente zu zeigen.

Dieser Nachmittag in der Wohnung von Jenö Eisenberger bleibt unvergesslich, denn wir sahen die ‚Sammlung Eisenberger’ - Bilder, Keramiken, Glas, Judaica; nie zuvor hatte ich soviel Schönheit aus unmittelbarer Nähe bewundern dürfen.  

Jenö Eisenberger ist im August 2016 gestorben.

  • Meine Familiengeschichte

Ich mag manchmal hochnäsig erscheinen, denn ich kann mich an niemanden in dieser Welt erinnern, außer an die, die ich im Krieg oder erst unlängst kennen gelernt habe. Wenn wir Eisenbergers ein Familientreffen haben, fragt mich mein Bruder immer: ‚Kannst du dich an den Rappaport erinnern, kannst du dich an den Müller erinnern?’ Meine Tochter sagt dann immer: das ist ein Selbstschutz.

Soviel weiß ich aber: ich wurde 1922 in Sátoraljaújhely [Ungarn] geboren. Sátoraljaújhely ist ein Zentrum des Tokajer Weins 1, eine neue Stadt. Vor 300 Jahren hat es sie noch gar nicht gegeben. Die Juden sind aus Polen hierher gekommen und der erste Rabbiner, der Wunderrabbiner Mosche Teitelbaum, der erste aus der Teitelbaum Dynastie, war auch da.

Dieser Teitelbaum kann so um 1760 bis 1780 gekommen sein und anscheinend sind die Juden mitgekommen. Denn wo es einen Juden gab, gab es gleich mehrere. Also gibt es seit Anfang des 19. Jahrhunderts Juden in Sátoraljaújhely. Vor meiner Geburt oder zur Zeit meiner Geburt, gab es drei Gemeinden in Sátoraljaújhely: die neologe 2, die orthodoxe, der wir angehört haben und die chassidische 3.

Innerhalb des Judentums war es so, dass die Neologen zu den Orthodoxen gegangen sind, nur die Orthodoxen sind nicht zu den Neologen gegangen. Aber die Orthodoxen und die Neologen haben die Chassidim als polnische Eingesickerte betrachtet. Dabei waren eigentlich alle Juden in Sáthoraljújhely aus Polen.

Nur, dass der eine zehn oder 50 Jahre später als der andere gekommen ist. Ich glaube, dass in den 50 oder 60 Jahren, in denen es die neologe Gemeinde überhaupt gab, niemals ein Orthodoxer sie betrat. Oder gar, dass sie untereinander geheiratet hätten. Die Chassidim wurden wie die Zigeuner völlig geächtet, sogar von uns. Denn wir haben gesagt, dass sie schmutzig und lumpig sind.

1943 hat die Erde schon gebrannt. Ich kann mich noch erinnern, da gab es in Debrecen einen neologen Rabbiner, der für seine politischen Reden sehr bekannt war. Er hieß Pál Weisz. In Szeged gab es den Immánuel Löw und in Debrecen diesen Weisz. Eine riesengroße Persönlichkeit.

Und als dieser nach Sátoraljaújhely kam, um eine Rede zu halten, hätte es selbstverständlich sein sollen, dass alle Juden hingehen, um die Rede zu hören, denn er hatte nun wirklich einen großen Namen. Aber in die neologe Synagoge wäre kein einziger Orthodoxer gegangen, also hielt er seine Rede im Hof. Von den Chassidim ist aber kein einziger hingegangen.

Das ganze Leben in Sátoraljaújhely war so, dass die Leute nicht nach ihrer eigenen Fasson lebten, sondern danach, was andere sagten. Gezählt hat nur, was der andere sieht und was der dazu meint. Es war ghettoartig. Jeder mischte sich in das Leben des anderen ein: was der kocht, wie der lebt und wie die Feiertage gehalten wurden.

Und so war es auch Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieses ganze Leben betrachte ich bis heute noch mit Missfallen. Jüdische Ehemänner haben sich gar nicht darum gekümmert, ob es die Frau leicht hatte oder nicht, ob es ihr gut geht oder nicht. Auch in unserer Familie war das nicht anders.

Mein Vater Mór Eisenberger, weil er so reich war oder weil er sich so selbstsicher fühlte, hat es fertiggebracht, zehn Kilo Fisch nach Hause zu schleppen und zu meiner Mutter zu sagen:
‚Du kochst das jetzt, denn ich habe für Samstagabend 40 Leute eingeladen’.

Es war Rabbinerwahl und er wollte sie beeinflussen. Es war immer so. Auch als ich klein war, hörte ich:

‚Oh, vor zehn Jahren hatten wir zum Seder [Der Sederabend ist der Auftakt des jüdischen Pessach-Festes. An ihm wird im Kreis der Familie des Auszugs aus Ägypten gedacht] Fremde im Haus’. Oder Freitagabend, wenn wir in die Synagoge gingen und die Bettler, die von einer Stadt in die andere zogen, an der Synagoge standen, brachte mein Vater nicht nur drei oder vier von denen mit nach Hause.

Das gab es nicht. Er hat nicht danach gefragt, ob er sie bringen kann. Ob das Essen zu Hause auch für alle reicht oder ob für die Leute gekocht werden kann. Er hat sie ganz einfach mitgebracht.

Mein Vater hatte ganz radikale konservative Ansichten. Deshalb hat er oft polemisiert und hatte auch Feinde. In meinem Leben habe ich zwei Rabbinerwahlen erlebt. Ich weiß, dass er da aktiv mitgeredet hat, dass so ein bigotter Rabbiner nicht gewählt werden sollte. Der einzige Ausgangspunkt im Leben war die Religion und ihre Auslegung.

Ob das für die ganze Bevölkerung von Sátoraljaújhely charakteristisch war oder nur für das Judentum, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ich mit acht oder zehn Jahren bereits wusste, dass ich nicht dazu gehöre. Und das wurde mir auch irgendwie zur Rettung.

Als ich geboren wurde, hatte Sátoraljaújhely bereits zwei große Veränderungen durchgemacht. Die erste war, als 1918 die Kommunisten kamen. Die Juden standen an deren Seite, deshalb wurden sie nachher verfolgt. Dadurch hatte sich ein großer politischer Gegensatz zwischen den Ungarn und den Juden entwickelt.

Die Juden waren politisch sehr aktiv. Außerdem wurde Sátoraljaújhely 1920 [Nach dem 1. Weltkrieg] von seiner ganzen Umgebung abgeschnitten. 20 Prozent der gesamten Gegend und ihres Einkommens gehörte nun zur damaligen Tschechoslawakei und hieß Slovenske Novo Mesto. Wir wohnten im ungarischen Teil.

Mein Vater war 1919/20 noch als Milliardär bekannt, denn er hatte Weinberge, Häuser und Kneipen. Um das Niveau halten zu können, musste er von da an jedes zweite Jahr etwas verkaufen. Das ging so bis ungefähr 1936/38. Als 1938 meine Schwester heiratete und er ihr eine Mitgift hat geben müssen, wurde, glaube ich, der letzte Weinberg verkauft. Meine Mutter ist 1943 gestorben, mein Vater ist nach Auschwitz [KZ Auschwitz] gekommen. Nach dem Krieg war das eine ganz andere Welt.

  • Meine Kindheit

In meiner Kindheit waren in Sátoraljaújhely 20 oder 30 Prozent der Bevölkerung Juden. Zu den Ungarn hatten wir nie Kontakt. Ich weiß heute nicht, warum das so war. Die Juden hatten nur zu solchen Leuten Kontakt, mit denen sie Geschäfte machten. Die Gäste der Kneipe meines Bruders waren zu 100 Prozent Christen.

Es kann sein, dass es Anwälte und Ärzte oder andere Intellektuelle gab, die zu den Nichtjuden Kontakt hatten, aber wir   also nicht die Chassidim, sondern die religiösen Juden   hatten keinen. Wir wohnten in der Rákóczi Strasse 28, und unter Nummer 36 wohnte eine nichtjüdische Familie.

Wir wussten nicht, ob die überhaupt Kinder hatten, wer oder was sie waren. Und wahrscheinlich haben die auch nicht gewusst, wer wir waren und was wir machten. Also gab es eine Grenze zwischen uns.

Ich glaube nicht, dass es in Sátoraljaújhely Antisemiten gab. Man wusste nicht einmal, was Antisemitismus ist. Das ist, wie wenn man sagt, dass es in Österreich einen Antisemitismus gibt. Ich lebe seit 50 Jahren hier und bin ihm nie begegnet, aber einem Österreicher, der die Juden gern hätte, bin ich auch noch nie begegnet.

Auch in Sátoraljaújhely hat man die Juden nicht gern gehabt, aber es gab keinen Antisemitismus in dem Sinn. Zum Beispiel ließ mein Vater eine Torah [wörtl: die Lehre, 5 Bücher Mose] schreiben. Und zu Simchat Tora [letzter Tag des Laubhüttenfestes], hat man sie in der Synagoge abgegeben.

Die Rákóczi Strasse, in der wir wohnten, war die längste in Sátoraljaújhely, ungefähr so lang wie die Kärntner Strasse. Und da baute man eine Chuppa [Hochzeitsbaldachin] vor unserem Haus. Die ganze Gemeinde, zumindest die ganze Orthodoxie, marschierte in der Mitte der Strasse, an unserem Haus vorbei, als man die Torah in die Synagoge brachte. Die Ungarn haben uns keine Schimpfereien nachgerufen, sie haben uns nicht gehänselt oder irgendwas in der Art. Dabei war das schon 1936 oder 1937.

Ich weiß gar nicht, wie sich meine Eltern kennen gelernt haben. Es gab diese Heiratsvermittler, die haben nicht allzu viel gefragt. Sie sagten, dass es eine gute Familie ist und schon haben sie einen verheiratet. Und wir haben erst, als es sie nicht mehr gab, erfahren, dass mein Vater schon ein 25jähriger erwachsener Mann war und meine Mutter erst 16, als sie geheiratet haben.

Eine große Liebe wird das wahrscheinlich nicht gewesen sein. Jeder machte seinen Kram. Mein Vater mischte sich nicht in die Kindererziehung ein, außer, dass er sehr streng verlangte, dass wir lernen. Ob wir Schuhe und Kleider hatten, hat ihn nicht besonders gekümmert.

Um alles hat sich meine Mutter gekümmert. Natürlich hatte sie Hilfe, nicht nur ein Mädchen, aber auch deshalb, weil wir eine Kneipe und einen Laden hatten. Wir wohnten in einem großen Haus. Auch die Kneipe war in unserem Haus.

Mein Großvater väterlicherseits hieß Bernat Antal Eisenberger. Er wurde 1845 in Tiszabercel [Ungarn] geboren. Er hatte auch eine Kneipe. Meine Großmutter Chana, geborene Weinberger, verkaufte Kalk zum Malen. Ich kann mich nicht so gut an die Großeltern erinnern.

Ich war nicht älter als vier oder fünf Jahre alt, als sie starben. Dieser Großvater hatte vier Söhne: Samuel, Chaim, Benjamin, und meinen Vater Mor. Mein Vater wurde 1881 in Sátoraljaújhely geboren und seine Frau, meine Mutter, Etel, Etelka wurde sie auch genannt, in Szinna, Komitat Zemplen [Ungarn].

Wir waren neun Geschwister: sieben Jungen und zwei Mädchen. Benjámin war der älteste. Auf ihn folgte Dávid, nach dem kam unsere Schwester Iren, die wir Neschu nannten. Nach ihr kam Herscho, der eigentlich Hermann hieß und sich mit Wein beschäftigte, und dann Schmilo, also Sámuel, der jetzt 87 Jahre alt ist.

Dann ein Ignác, dann ich, und nach mir noch Lipot und Ida, die jetzt in Tel Aviv lebt. So ist also die Reihenfolge der neun Kinder. Dávid wurde 1909 geboren und starb 1997, Iren wurde 1911 geboren und starb 1944, Hermann wurde 1913 geboren und starb ebenfalls 1944, Sámuel wurde 1916 geboren und lebt noch [Anm. d. Red.: Sámuel starb 2002 in Israel]. Ignác wurde 1920 geboren und starb 1944, dann kam ich 1922, nach mir Lipót 1925, der im November 1944 starb, und dann meine jüngste Schwester Ida 1927, die noch lebt.

Unser Vater wollte, dass alle Kinder lernen, aber nicht in der Schule, sondern den Talmud [wichtigstes nachbiblisches Buch des Judentums]. Es war für uns sehr schwer, selbständig zu sein, besonders wegen meines Vaters. Meine Mutter konnte überhaupt nicht mitbestimmen. Wir hatten Kneipe und Wirtschaft, und einer meiner älteren Brüder, Hermann, hatte einen guten Sinn für Wein und machte gute Geschäfte damit.

Mein ältester Bruder Benjámin ging in Pressburg zur Schule. Er hatte einen klugen Kopf, also ging er 1926 nach Frankfurt am Main studieren, damit mein Vater über ihn nicht bestimmen konnte. Dort war die einzige Universität in Europa, die eine Fakultät für Talmud hatte.

  • Während des Krieges

Als 1933 Hitler die Macht übernahm, musste mein Bruder mit dem Studium aufhören. Die Universität stellte für alle ein Zertifikat aus, mit dem man nach Israel gehen konnte. Alle die nach Israel gingen, sind in Israel große Professoren geworden und haben dicke Bücher geschrieben.

Mein Vater hat – weil Benjamin nach Frankfurt gegangen war – Jahre lang nicht mit ihm gesprochen. Bevor mein Bruder nach Israel ging, wollte er sich von unserem Vater verabschieden. Der aber wollte von ihm nicht Abschied nehmen, sondern sagte ihm, dass er sich verheiraten solle, wenn er Respekt vor ihm habe.

Er sollte ein Mädchen heiraten, das ihm mein Vater vorschlug. Und so ist mein Bruder nicht nach Israel gegangen, sondern hat ein herziges Mädchen namens Irene geheiratet und drei Kinder bekommen.

Sie wohnten in Nagyvárad [Anm.: rum. Oradea, Rumänien]. Im Krieg wurde seine Frau mit den Kindern nach Auschwitz gebracht, und er ins Arbeitslager. Als er zurückkam, hat er niemanden von seiner Familie gefunden. Der ungarische Staat stellte Züge zur Verfügung, damit man seine Familienangehörigen suchen konnte.

Mein Bruder ist sieben Mal nach Polen gefahren, um seine Familie zu suchen. Aber er hat sie nicht gefunden. Dann hat er eine junge Frau geheiratet, aber er ist nie in das eigentliche Leben zurückgekehrt. Seine zweite Frau hieß Gertrude Alt und die beiden hatten eine Tochter, Noemi, die in Budapest geboren wurde.

Sie flohen zur Zeit der Revolution 1956 in Ungarn nach Kanada. Mein Bruder starb 1997 im Alter von 90 Jahren in Toronto [Kanada]. Gertrude und Noemi, die mit einem Attlani verheiratet ist, leben in Toronto. Noemi arbeitet für die Canada Air und hat eine Tochter, Awiwa. Ihr Hobby ist es, die Wurzeln der Familie zu erforschen. Sie befindet sich wochenlang auf jüdischen Friedhöfen in Ungarn und hat so schon über 1.100 Mitglieder der Familie für den Stammbaum erforscht.

Mein kleiner Bruder Ignác hat auch viel gelernt. Er hätte auch ein Rabbiner werden können, aber keiner von meinen Brüdern wollte Rabbiner werden. Sie haben nur um des Lernens willens gelernt. Ignác wurde 1942 in einem Arbeitslager in Ungarn interniert. Er ist aus dem Arbeitslager nicht wiedergekommen. Er wurde zum Arbeitsdienst nach Russland geschickt und starb wahrscheinlich an einer Krankheit.

Mein anderer Bruder, der Dávid, wohnte in Békéscsaba [Ungarn]. Er heiratete 1934 Lea Schotten. Seine Hochzeit war eine Sensation in Budapest, denn sie war beim ‚Onkel Stern’. Das war damals das vornehmste jüdische Restaurant. Lea war ein Mädchen aus einer großen Familie mit einer großen Mitgift.

David machte dann einen Blumenladen mit einem Partner auf. Sein Partner, der Kadar hieß, war zum christlichen Glauben übertreten und heiratete die Tochter eines deutschen Bankiers. Sie wohnten auch in Békéscsaba. Sie hatten einen großen Textilbetrieb mit Großhandel. Normalerweise gibt es zwischen einem, der übergetreten ist und einem so religiösen wie meinem Bruder Meinungsverschiedenheiten.

Aber keine Geschwister sind so gut zu einander, wie es diese beiden waren. Es ging ihnen sehr, sehr gut. Dávid war ein vorsichtiger Mensch und bereits als es mit der Judenverfolgung anfing, dachte er an Flucht. Also ging er mit seiner Frau und seiner Tochter Perl auf einen Bauernhof und sie versteckten sich in den 1940er – Jahren. Békéscsaba liegt an der rumänischen Grenze. Die Rumänen kapitulierten bereits im September 1944 und sie waren befreit.

Sein Partner, der Kádár, der die christliche Ehefrau hatte und die beiden Kinder, war natürlich mit den Juden verbunden. Als das Ghetto entstand, hat er den Juden geholfen. Natürlich wurde er dafür von den ungarischen Gendarmen sekkiert, und seine Frau hat man mit dem letzten Transport verschleppt.

Die christliche Frau mit den beiden Kindern! Sie sind nicht wieder gekommen. Der Kádár war im Arbeitslager und lebte dort mit dem weißen Band [als Getaufter]. Er kam zurück, und als er hörte, was mit seiner Familie geschehen war, erhängte er sich.

Weil er am Leben geblieben war, wurde mein Bruder David fanatisch in seinem Glauben und ging 1949 nach Israel. Aber Israel war ihm nicht religiös genug. Er verkaufte alles, was er mitgenommen hatte und ging mit seiner Frau und seiner Tochter weiter nach Australien. Seine Tochter hat er mit 17 verheiratet, an einen noch Religiöseren, als er selber war.

Die hielt es drei Jahre bei ihrem Schwiegervater aus, dann ging sie nach New York. Als seine Tochter mit dem vierten Kind schwanger war und seine Frau starb, verkaufte er in Australien alles und folgte der Tochter nach New York. Er ging in New York am Freitag in dies Mikwe [rituelles Bad], wo ihn niemand kannte.

Da hörte er, dass über seine Tochter gesprochen wurde - dass sie Krebs hätte, und bald sterben würde. Mein Bruder ging zum Rabbiner und fragte ihn: ‚Rabbi, wie kannst du zulassen, dass meine Tochter schwanger ist?’ Daraufhin sagte der Rabbiner: ‚Hören Sie zu! Ihre Tochter wird ein Kind zur Welt bringen, dann vielleicht noch eins. Sie wird sterben, aber ihre Kinder werden Juden sein.’

Perl lebte noch neun Jahre und bekam noch drei Kinder. Sie hatte insgesamt sechs Kinder. Sie ging mit ihrem Mann in ein Dorf, 150 Kilometer von New York, wo es eine ganz religiöse Sekte gibt. Das ist eine jüdisch-orthodoxe Sekte, die Square heißt und mit ganz strengen Regeln lebt. Die Burschen lernen nicht einmal Englisch, sie sprechen nur jiddisch.

Die Mädchen dürfen, glaube ich, englisch und französisch lernen. Diese Siedlung befindet sich in der Nähe der Stadt Mancy und wurde von einem Rabbiner gegründet. Die lassen eigentlich niemanden in ihre Welt hinein. Eine Frau kann keinen Mann ins Haus bringen; wenn sie einen Außenseiter heiratet, muss sie gehen.

Aber ein Junge darf eine Außenseiterin heiraten. Meine Nichte hat man in diese Gemeinde aufgenommen, weil sie zum Rabbiner ging, und ihm sagte, dass sie bald sterben würde und dass nach ihrem Tod die Familie dableiben werde. Als Perl mit ihrer Familie hinzog lebten drei-, vierhundert Juden dort; jetzt sind es sicher an die Zweitausend. Perl starb, die Kinder wurden von dem Vater großgezogen. Er hat nicht noch einmal geheiratet, sondern kümmerte sich nur noch um seine Kinder.

Das letzte Mal war ich mit meiner Frau vor sechs Jahren bei meinem Bruder, der auch zu der Sekte gezogen war. Er hatte 41 Urgroßenkel von dieser einzigen Tochter. Heute besteht die Familie bestimmt aus 70 Mitgliedern. Alle wohnen in der Nähe, in einem Umkreis von zwei-, dreihundert Metern. Nach dem Krieg war das die größte Tragödie der Familie: das einzige Kind, das mein Bruder hatte, ist mit 36 Jahren gestorben.

Meine Mutter hatte Glück, sie ist noch 1943 gestorben, innerhalb von sechs Monaten. Sie wurde auch anständig begraben, auf dem jüdischen Friedhof in Sátoraljaújhely. Mein Vater wurde leider nach Auschwitz gebracht, mit Ida, meiner kleinen Schwester Ida und meinem kleinen Bruder Lipót zusammen. Meine kleine Schwester ist wiedergekommen, mein Vater nicht.

Lipót arbeitete im KZ im Krematorium. Von dort kam kein einziger Mensch wieder. Im November, zur Zeit des Aufstands [der Aufstand fand im Oktober statt, siehe Sonderkommando Auschwitz] 4, wurde ein Krematorium gesprengt. Er war unter den Aufständischen.

Aber wir wissen nicht, ob er beim Aufstand oder danach getötet wurde. Auch Ida hat in Auschwitz gearbeitet. Sie teilte die Kleider aus und hat den Leibo, das war Lipóts Spitzname in der Familie, jeden Tag gesehen. Sie winkten einander jeden Tag zu.

Sie wäre nicht am Leben geblieben, wenn er ihr nicht immer irgendwelche Sachen beschafft hätte. Die im Krematorium arbeiteten hatten Gold, also konnten sie Sachen kaufen. Meine Schwester hat von der SS immer ein Paket bekommen, das ihr mein Bruder geschickt hat. So konnte sie überleben.

Ida kam ungefähr im Mai nach Sátoraljaújhely zurück. Sie war abgemagert und trug diese Sachen aus Auschwitz   ich habe sie nicht erkannt. Nach zwei Tagen sagte sie zu mir:
‚Mein lieber Bruder, unser Bruder hat dort gearbeitet, ohne ihn hätte ich nicht überlebt’.

Nachdem sie zurückgekommen war, erzählte sie mir anfangs noch, wen sie sonst noch dort gesehen hatte, denn es gab 50 bis 60 Eisenbergers in Sátoraljaújhely. Meine Schwester erzählte mir alles, aber dann hat sie nie mehr darüber. Sie sagte:

‚Ich weiß nicht, wie lange wir leben werden, aber ich bitte dich, Auschwitz nie wieder zu erwähnen. Wenn du es erwähnst, sage ich nie wieder etwas’. Das ist jetzt mehr als 50 Jahre her. Sie ist schon über siebzig, wir haben sie auch nie wieder danach gefragt. Das einzige, was ich ihr gesagt habe, war:

‚Willst Du nicht zu dieser Spielberg Sache [Survivors of the Shoah Visual History Foundation] gehen, alle gehen hin. Du könntest dich vielleicht auch erleichtern.’ Da sagte sie zu mir:
‚Glaub’ mir, ich empfehle auch allen hinzugehen, denn es ist wichtig für die Zukunft.

Aber ich gehe ganz bestimmt nicht hin.’ Sie war 1949 allein nach Israel gegangen, ich weiß gar nicht, wie. Sie heiratete einen Jungen aus Tokaj [Ungarn], der ebenfalls im Lager [KZ] gewesen war. Ich kannte den Jungen noch aus Budapest.

Er hatte einen Lederwarenladen in Tel Aviv, neben der großen Synagoge. Auch sein Sohn hat einige Geschäfte: Geschenkartikel für Männer. Das Geschäft läuft nicht schlecht, aber Millionäre sind sie nicht. Der Sohn hat zwei Kinder, und sie haben zwei Enkelkinder. Meine Schwester hat Israel seither nicht verlassen. Ich kann sie leider nicht einladen, denn ihr Mann ist krank.

Ich bin aus Sátotoraljaújhely geflohen, deshalb bin ich am Leben geblieben. 1941 oder 1942 hat man in Sátoraljaújhely Plakate ausgehängt, dass sich die Burschen zum Wehrdienst melden sollen. Aber zuvor ist etwas passiert, weshalb ich mich nicht gemeldet habe.

Die ungarische Regierung war eigentlich von den Deutschen abhängig, aber irgendwas haben sie immer gemacht, was darauf hindeutete, dass sie es doch nicht sind. Deshalb haben sie zugelassen, dass 1941 polnische Flüchtlinge nach Ungarn kommen konnten. Und als die Flüchtlinge kamen, war Sátoraljaújhely ihre erste Station. Es gab in Polen Juden, die mit Papieren von Christen lebten.

Als sie nach Ungarn kamen, sind sie gleich in die Synagoge gegangen, um die Juden um Hilfe zu bitten. Mein Vater ging jeden Tag in die Synagoge, aber er wagte es nicht, mit ihnen zu sprechen. Es herrschte Angst und es wurde Angst provoziert. Eines Tages kam mein Vater nach Hause und sagte: ‚Die polnischen Juden wohnen da im Keller. Geh’, bring denen das ganze Essen, das du zu Hause findest!

Du bist ein junger Mann, um dich kümmert sich keiner. Ich habe Angst, dass die ganze Familie interniert wird, wenn ich hingehe’. Ich brachte den Polen Essen, und sie erzählten mir von ihrem schrecklichen Leben seit 1939, seit der Krieg ausgebrochen war.

Ich war ein Junge von 19 oder 20 Jahren, aber ich habe alles begriffen. Das hat bewirkt, dass ich beschloss, mich bei der Musterung nicht zu melden. Und ich habe mich auch nicht gemeldet. Weil es sehr schwer war, an falsche Papiere zu kommen, habe ich meine Papiere und sogar meine ganzen Kleider verbrannt.

Dann habe ich gemeldet, dass meine Dokumente im Feuer vernichtet wurden. Alle wussten, dass ich Eisenberger heiße, aber ob Lipót oder Jenö, das war einerlei. Deshalb habe ich die neuen Papiere auf den Namen meines Bruders ausstellen lassen. So wurde ich drei Jahre jünger und konnte unter dem Namen meines kleinen Bruders nach Budapest fahren.

Ich bin von zu Hause nicht weggegangen, sondern geflohen. Als ich die falschen Papiere machen ließ, bekam ich die größte Ohrfeige von meinem Vater. Und als ich sagte, dass ich trotzdem gehe, sagte meine Mutter:
‚Dein Vater hat sich von dir nicht verabschiedet, also nehme ich auch nicht Abschied von dir’.

Und mein Vater sagte noch: Deinetwegen wird die ganze Familie interniert!’ Ich erwiderte:

‚Sie wird nicht interniert, ich melde mich sofort, wenn etwas ist.’ Diese Art von Pflichtbewusstsein wurde Menschen eingeimpft, dass man sich bei der Musterung zu melden hatte. Meine Eltern haben sich von mir nicht verabschiedet. Ich sah sie damals das letzte Mal.

In Budapest fing ich an zu arbeiten. Ich traf die Polen wieder, die über Sátoraljaújhely gekommen waren. Sie lebten alle mit christlichen Papieren in Budapest. Ich beschaffte mir auch solche Papiere und erlernte, wie man Hemden schneidet und näht. Ich mietete ein Zimmer auf dem Klauzál Platz.

Die Vermieterin hatte noch zwei oder drei Zimmer, die sie vermietete. Eine Mieterin war ein Mädchen aus Kapuvár, die vom Lande in die Hauptstadt gekommen war, um in der Fabrik zu arbeiten. Sie hieß Irén Félix. Wir wurden gute Freunde.

Da man in solchen Situationen automatisch nach der Familie fragt, erzählte sie mir, dass sie einen Bruder gehabt hatte, der mit 14 Jahren gestorben war. Zu dieser Zeit wäre er 15 gewesen. Daraufhin schrieb ich dem Priester in Kapuvár in ihrem Namen einen Brief, dass ich die Geburtsurkunde vom Bruder haben möchte. Sie war den ganzen Tag in der Fabrik, ich war zu Hause und schneiderte die Hemden und bekam automatisch ihre Briefe.

Nun hatte ich eine Geburtsurkunde von Mihály Félix, aus der ich erfuhr, wo seine Mutter geboren war. Ich schrieb dorthin einen Brief, erfuhr, wo sein Vater geboren war und dorthin schrieb ich auch einen Brief. So begann ich, meine Papiere zusammenzusammeln.

Ich wurde ein exemplarischer Arier. Aber ich besaß noch keinen Ausweis mit Foto. Ich hatte nur ein Zeugnis darüber, dass ich Arier bin. Überall, wo es irgendeinen Verein oder Verband gab, meldete ich mich, und überall bekam ich einen Mitgliedsausweis. In der Baross Strasse gab es einen Verband, der hieß Ungarische Nationale Arbeitszentrale.

Diese wurde von Graf István Festetics gegründet - es war eine politisch rechte Gewerkschaft. Ich erhielt von ihnen einen wunderschönen Ausweis mit Foto. So spazierte ich in Budapest als Arier herum, als am 19. März 1944 die Deutschen kamen.

Ich kam gerade aus dem Goldmark Saal von einem Vortrag, als ein Deutscher und ein Pfeilkreuzler 5 mich aufforderten, mich auszuweisen und dann fragten:

‚Wieso gehst du nicht in die Partei?’ So hat sich herausgestellt, dass dieser Verein eine geheime Pfeilkreuzler-Partei war. Am nächsten Tag ging ich hin, erhielt ein Armband mit dem Pfeilkreuz, und musste zweimal die Woche nachmittags zur Versammlung gehen. So wurde ich ein Pfeilkreuzler.

Alle Juden, die ich kannte, kamen zu mir: einer war auf der Flucht nach Rumänien, der andere in die Slowakei, den dritten musste man verstecken. Aus Sátoraljaújhely sind die Leute aus dem Ghetto nach Budapest geflohen, und da sie wussten, dass ich da bin, kamen auch sie zu mir; bis zum 15. Oktober, als der Szálasi 6 kam.

Am 22. Oktober 1944 stand in der Zeitung, dass die Russen Csap [Ungarn] und Nyíregyháza [Ungarn] besetzt hatten. Von beiden nur wenige Kilometer entfernt fließt die Theiß, und in der Mitte liegt Sátoraljaújhely. Ich dachte: was zum Teufel mach’ ich denn noch hier in Budapest. Ich fahre nach Sátoraljaújhely, verstecke mich in den Bergen, in einigen Tagen sind eh die Russen da.

In der Nacht stieg ich in den Zug, barfuss mit einer Schnur als Gürtel, damit ich aussehe wie ein Fünfzehnjähriger mit Pfeilkreuzler-Armbinde. Der Zug fuhr Richtung Újhely [Ungarn] ab, aber in Miskolc [Ungarn] blieb er stehen. Es hieß, er würde nicht weiterfahren, wegen ‚Russengefahr’.

In Miskolc habe ich niemanden gekannt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber in dem Jahr in Budapest hatte ich viele Bekanntschaften geschlossen mit solchen, die ebenfalls zitterten. Ich ging in ein Hotel und kam mit einem polnischen Portier, von dem sich herausstellte, dass er auch Jude war, ins Gespräch.

In Miskolc waren eigentlich schon alle Juden verschleppt worden. Er war einer von den polnischen Juden, die als Christen lebten. Es gab 56 polnische Juden, die mit Papieren von Christen in Miskolc lebten. Später stellte sich heraus, dass die Polizei von denen wusste. Es gab bei KEOK [Abteilung zur Kontrolle von Ausländern], bei dem Vater des späteren Ministerpräsidenten, József Antall, eine polnische Gräfin, die diese Polen sozusagen legalisierte. Das wussten wir aber damals nicht.

  • Nach dem Krieg

Am 2. Dezember 1944 kamen die Russen nach Miskolc und noch am selben Tag nach Sátoraljaújhely. Zu Weihnachten war ich schon in Sátoraljaújhely. So habe ich den Krieg überlebt.

Ich lebte 38 Jahren zusammen mit meiner Frau, und es war zwischen uns immer ein Thema, ob ich Angst gehabt hätte. Ich lebte so selbstsicher unter dem Namen Mihály Félix, dass ich nie Angst hatte. Hätte ich Angst gehabt, hätte man mich sofort erwischt. Dadurch, dass ich keine Angst hatte, gab es auch keine Gefahr.

1943/44 hatte ich eine fixe Idee - ich war ganz verrückt danach. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, wenn der Krieg vorbei ist, mich mit diesem Namen [Mihály Félix] auf den Weg nach Südafrika zu machen. Ich wollte nie wieder weder etwas von der Familie, noch vom Judentum hören.

Aber erstens konnte man nach dem Krieg nicht gleich weggehen - nicht einmal ins Nachbardorf - zweitens kam meine Schwester aus Auschwitz zurück und dann meldete sich auch mein Bruder. Also war ich wieder drin in dieser Mischpoche [jidd. Familie]. Und dann geht man nicht mehr weg.

Ende 1945 eröffnete ich eine Textilgroßhandlung in der Király Strasse in Budapest und einen Knopfbetrieb in Zugló. Ich hatte sehr viel Geld. Ich verdiente so viel, wie nur möglich war. Als 1947 niemand etwas zu essen hatte, habe ich Urlaub in Paris gemacht.

Meine Bekannte in Paris sagte, dass sie nach Palästina gehen, um zu kämpfen. Ich rief meinen ältesten Bruder, den Benjámin an, der auch in Budapest wohnte, und fragte ihn, ob er gewillt sei, das Geschäft für einige Monate zu übernehmen. Hierauf sagte er nur: ‚Ich wusste schon immer, dass du verrückt bist’. Aus den paar Monaten wurden zwei Jahre.

Inzwischen hatte man in Budapest alles verstaatlicht. Ich habe davon nicht gewusst, denn ich habe in Palästina keine Zeitung gelesen. Auf die Frage, warum ich kämpfen gegangen bin, haben meine Frau und ich in den 38 Jahren unserer Ehe zwei Antworten gefunden.

Die eine ist, dass ich ein Abenteurer bin, also dass ich das Abenteuer mag. Die zweite ist, dass ich damals noch jung war, und es hat mich fasziniert, für das eigene Land zu kämpfen. Mein Bruder ist mit dem Zionismus 7 aufgewachsen, das hatte er in Frankfurt studiert. Aber ich hatte keine Ahnung. Mir wurde von diesen Jungen in Paris, die ich aus Budapest kannte, nur gesagt, wie man nach Palästina kommt.

Sie sagten mir, dass man zum Sochnut [Jewish Agency] gehen soll. Das erste, was man mich fragte war, ob ich Geld habe. Ich sagte, ich hätte 800 Dollar dabei.
,Gib’s her!’ ,O.k’, sage ich. Und ich wurde nach Marseille gebracht, zur Ausbildung.

Das war ungefähr im August, denn ich hatte ja im Sommer Urlaub gemacht. Danach wurde ich als ausgebildeter Soldat auf ein jüdisches Schiff gebracht. Wir fuhren drei Tage nach Haifa. Auf dem Schiff wurden mir die Straßennamen von Tel Aviv beigebracht, sollten mich die Engländer irgendetwas fragen, denn die Engländer waren ja 1947 noch da. Auch allerlei andere Sachen brachte man mir bei. Und ich erhielt einen Reisepass.

Am ersten Tag hätte ich zehn Jahre von meinem Leben gegeben, damit ich wieder nach Hause gehen kann. Es war schrecklich. Ich kam in Haifa an, die Strassen waren menschenleer. Niemand fragte mich nach meinem Namen, niemand fragte mich irgendwas. Ich hätte mit ihnen sprechen können, auf Jiddisch. Zu Hause sprachen wir zwar immer ungarisch, aber wir konnten auch jiddisch. Mit den Polen konnte man nur Jiddisch sprechen, also war das Jiddische ganz normal für mich.

Nach zwei oder drei Wochen hat man mich einberufen, ich war Soldat. Ein armer Soldat zwar, aber ein Soldat. Es gab unter den 220 Leuten kaum Ausländer, ich war der einzige Ungar. Die Einheimischen, die Sabres [in Israel geborene Juden], gingen jeden Tag oder samstags nach Hause schlafen.

Sie sprachen über mich, ich verstand kein einziges Wort. Und sie verfügten über mich, als wäre ich ihr Hund. Es war grausam in den ersten fünf, sechs Monaten. Ich habe sehr bereut, dass ich hingefahren war, aber es gab keinen Weg mehr zurück. Dies war auch ein ewiges Thema mit meiner Frau.

Denn als ich 1949 entlassen wurde, sagte man mir, dass ich Israeli werden kann, und 130 [britische] Pfund bekomme. Das war damals der Preis für eine Wohnung, und was weiß ich, was noch. Oder ich bekäme 300 Dollar und den Betrag für den Rückflug.

Ich sagte: ‚Gebt mir das Geld und ich gehe zurück.’ Aber warum bin ich zurückgegangen? Der eine Grund kann sein, dass ich wie gesagt ein Abenteurer bin, der andere Grund kann aber auch sein, dass ich die israelische Mentalität nicht leiden konnte. Ich kann sie bis heute nicht leiden.

Nach zwei Jahren hatte ich Gesellschaft, ich hatte eine Verlobte, ich hätte dort heiraten können. Man fragte mich, wohin ich fahren möchte. Ich sagte:
‚Nach Budapest, meine Kleider sind da, alles ist da.’

Sie sagten:

Es gibt kein Flugzeug nach Budapest’. Inzwischen waren in Ungarn die Kommunisten an der Macht.
‚Wohin kann man dann fahren; in die Nähe von Budapest?’
,Nach Wien.’
Na dann, gebt mir ein Ticket nach Wien!’ Ich kam nach Wien.

Ich kannte niemanden, niemand kannte mich. Mein Geld hatte ich schon größtenteils in Israel ausgegeben: also hatte ich fast nichts.

Und so bin ich hier geblieben. Und was paradox ist: es gab seit 1951 kein Jahr, in dem ich nicht drei bis vier Mal in Israel war. Sobald ich eine Freundin hatte, fuhr ich mit ihr nach Israel. Seit 40 Jahren besitze ich eine Wohnung in Israel.

Mit meiner Frau habe ich nur hebräisch gesprochen, seit unserer Heirat. Ich war nie ein Zionist und bin es auch nach wie vor nicht. Israel und die Israelis interessieren mich alle nicht. Ich bin kein Antijude oder Antiisraeli - es interessiert mich einfach nicht. Ich bin seit 53 Jahren hier in Wien, war aber noch nie zur Wahl. Ich habe kein einziges Mal ein Wahllokal betreten.

Selbst als man sagte, dass man sich dadurch strafbar macht. Auch dann bin ich nicht gegangen. Ich habe auch noch nie gesagt, dass ich Österreicher bin. Ich habe noch nie einen österreichischen Politiker gelesen oder mir angehört. Die Zeitung fange ich beim Sport oder bei der Kultur an.

Wenn ich aber in Israel bin, stehe ich um sieben Uhr auf und schalte als erstes das Radio ein. Die israelischen Nachrichten höre ich mir drei, vier Mal am Tag an. Auch die israelische Zeitung bekomme ich jeden Tag.

Nach Ungarn fahre ich regelmäßig. Ich sammle ungarische Bilder; sympathisiere mit den Ungarn. Aber irgendwie ist weder mir noch meiner Frau, noch unserer Tochter Mimi, jemals in den Sinn gekommen, nach Sátoraljújhely zu fahren. Meine Tochter kann nicht ungarisch.

Mit ihr spreche ich immer deutsch. Ich kann auch nur deshalb noch ungarisch, weil mein Freundschaftskreis, die Kartenrunde, alle Ungarn sind. Aber eine Muttersprache als solche habe ich nicht; ich spreche keine Sprache richtig.

Ich hatte schon bestimmt 30 Jahre mit meiner Ehefrau zusammengelebt, als ich ihr einmal sagte, dass wir nach Budapest fahren sollen, um das Haus József Ring 58 zu sehen. Dort hatte ich während des Kriegs als Christ gewohnt. Wir gingen ins Haus hinein, und ich zeigte ihr, wo ich als Pfeilkreuzler Mihály Félix gelebt hatte und jeden Tag die ganzen Faschistenzeitungen gekauft hatte.

In Ungarn gibt es diese Häuser mit Gang. Ich ging über eine Treppe vom Gang in mein Zimmer, also brauchte ich die andern nicht zu sehen. Mein Vermieter hatte eine Frau und eine Tochter. Ich habe die aber nicht viel gesehen, denn im Oktober 1944 ging ich wieder weg von ihnen.

Im Mai oder Juni 1945 suchte ich sie einmal auf. Damals hatte ich schon eine Freundin, mit der war ich zusammen in Budapest. Wir gingen hinein, da saß diese alte Frau auf einem Stuhl und neben ihr ihre Tochter. Und sie schlug die Hände zusammen, und sagte:

Mihály, Mihály, was ist aus Ihnen geworden? Wo wohnen Sie? Ist Ihnen nichts zugestoßen?’
‚Warum’, fragte ich. Endlich brachte sie hervor:
‚Mein Mann, der nur deshalb in der Partei war, damit er Arbeit hatte, wurde von den Juden gleich verschleppt. Sie wissen ja, was für eine Judenwelt wir hier haben, ein Wunder, dass sie Sie verschont haben’.

Ich sagte zu ihr:

‚Meine Dame, ich bin gekommen, um Ihnen dafür zu danken, dass ich hier habe leben können. Ich bin auch Jude.’ Und wie die Frau dort saß, sank sie auf den Boden:
‚Wissen Sie, wie wir vor Ihnen [als Faschist] gezittert haben? Ich wagte es nie, Ihr Zimmer zu betreten’. Auf so was waren wir dann mit meiner Frau doch nicht neugierig.

Meine Läden habe ich hier in Wien eröffnet. Ich bin kein geborener Kaufmann, ich bin sogar ein Antikaufmann. Als ich 1949 nach Wien kam und begann, in die jüdische Gesellschaft zu gehen, vertrauten mir alle. Aber keiner nahm mich in sein Geschäft. Anscheinend seh’ ich blöd aus. Die machten alles mögliche   Schmuggel, Handel ich war nie beteiligt.

Doch essen muss man. Ich bekam einmal Kaugummi zum Verkaufen und einmal Öl, damit ging ich hausieren. Die Russen benutzten Berlin und Wien zum Geschäfte machen mit dem Ausland. Aus allen Ländern brachten sie die Sachen hierher und verkauften sie für Valuta.

Wien war in vier Teile aufgeteilt. Der 2. Bezirk war russisch, aber der 1.Bezirk war amerikanisch. Der 3. war englisch. Aber man sah weder einen russischen Soldaten, noch einen amerikanischen. Alles haben die Österreicher gemacht. Und wenn es was Rechtswidriges gab, rief man da die Russen, dort die Engländer.

Die Russen haben damals auch ungarische Salami eingeführt, denn sie konnten sie auf dem Weltmarkt nicht verkaufen, und für ungarische Forint wäre es nicht interessant für sie gewesen. Die Juden beschäftigten sich mit den Russen, aber mit der Salami wollten sie sich nicht beschäftigen, denn die besteht aus Schweinefleisch. Und dann sagten sie mir: ‚Jenö, geh’ du verkaufen, den Gewinn teilen wir.’ Der 4. Bezirk war russisches Gebiet.

Dort bekamen wir die Salami und brachten sie im Rucksack oder in einer Kiste zur Mariahilfer Strasse oder auf den Naschmarkt. Wir bekamen dafür Schillinge und gaben das Geld den Russen. Und so ging ich die Salami verkaufen und kam in die Branche der Lebensmittelhändler. Heute verkaufe ich die Salami und morgen bekomme ich dafür Kaffee; so funktionierte das damals.

Als dann 1955 die Russen von hier weggingen, eröffnete ich eine Großhandlung. Ich importierte Sardinen und ähnliche Sachen. Dann war ich in Deutschland und sah dort dieses ‚self service’, die Diskontläden. 1960 war ich das erste Mal in Amerika als ich meine Schwester Ida besuchte. Dort sah ich diese Läden auch. 1961 eröffnete ich hier den ersten ‚self service’ Laden. So begann es! Mit der Zeit hatte ich immer mehr und mehr Läden.

Eigentlich bin ich Analphabet. Dass ich schreiben kann, das ist ein Zufall. Aber man muss zugeben, dass mir in Menschenkenntnis eine Professur zustehen würde. In 36 Jahren habe ich mit 2. 000 Leuten gearbeitet. Ich musste immer deshalb einen neuen Laden aufmachen, weil von mir niemals ein Mitarbeiter weggegangen ist. Sie sind gekommen und geblieben. Ich hatte nie das Problem, dass ich nicht genügend Mitarbeiter hatte.

Aber ich habe nie ein Geschäft gemacht, ich hatte nie im Leben Geld. Ich hatte irgendwie eine Spezerei [Delikatessengeschäft] und die wurde immer größer und größer. Ich wusste, wenn ich das hier kaufe, muss ich es in diese Ecke stellen und dann werden in einer Woche 500 Stück davon weggehen. Und am Ende des Jahres sagte meine Sekretärin, dass wir im Jahr dreieinhalb Prozent verdient hätten.

Ich habe in Israel Wohnungen gekauft, aber nicht, um sie zu verkaufen. Hab’ ich gewusst, dass, wenn ich einen Rippl Rónai 8 kaufe und in acht oder zehn Jahren verkaufe, das hundertfache Geld dafür bekomme? Ich hab’s nicht gewusst. Ich habe das Bild gekauft, weil ich und meine Frau gesehen haben, wie schön es ist.

Also ich weiß eines: ich hatte weder den familiären Hintergrund, noch die Bildung. Das Einzige, was ich hatte, war Glück. Aber das braucht ja der Mensch auch. Auch, dass meine Frau mich geheiratet hat… Jahre später habe ich erfahren, dass sie viereinhalb Jahre lang einen Freund hatte. Der hatte sie verlassen und gerade in dem Moment habe ich mich gemeldet. Wenn ich mich früher oder später gemeldet hätte, hätte sie mich nie im Leben geheiratet.

Meine Frau habe ich eigentlich so kennen gelernt: Ich war zwei Jahre lang Soldat in Israel und dann kam ich 1949 nach Wien. Seit 1951 bin ich jedes Jahr drei, vier, fünf Mal in Israel gewesen. Hier in Wien gab es damals nicht viele Israelis. Es war immer interessant, sich mit ihnen zu treffen und mit ihnen hebräisch zu sprechen.

Im Gasthaus, in das ich immer ging, gab es einen Israeli von der Botschaft. Immer wenn er da war, setzte ich mich an seinen Tisch, um mit ihm hebräisch zu sprechen. Eines Tages sah ich, dass eine Frau bei ihm war. Er hatte geheiratet. Bevor ich wieder nach Israel fuhr, verabschiedete ich mich von ihnen. Das war 1964.

Und da sagte mir seine Frau: ‚Oh, ich möchte dich um eine Gefälligkeit bitten. Kannst du für meine Freundin ein Päckchen mitnehmen? Du brauchst es ihr nicht zu bringen. Sie ist Lehrerin in Jerusalem, fährt aber oft nach Tel Aviv. Leg’ es nur zurück an der Hotelrezeption und ruf sie an, dass du ihr im Hotel ein Päckchen hinterlegt hast.’

Ich rief sie an, da sagte sie, sie wäre am Wochenende sowieso in Tel Aviv bei ihrer Schwester. Ich habe gehört, dass es eine junge Stimme ist, also hab ich gesagt, dass ich sie treffen möchte. Sie sagte darauf, dass sie erst am Freitagnachmittag käme und am Sonntag schon zurückfahren müsse. Also sagte ich, dass ich am Samstag kommen möchte. Da sagte sie, das passe nicht, denn bei ihnen sei am Samstag Schabbat [der siebte Tag der Woche, Ruhetag, höchster Feiertag des Judentums]. ‚Gut, dann komme ich Samstagabend.’

Da sagte sie:
‚Du wirst es nicht finden, es ist bei Tel Aviv, aber nicht einfach zu finden.’ Ich sagte, dass ich alles finde. Ich habe es auch gefunden, aber sehr, sehr schwer.

Sie erzählte mir, dass sie studiere und wenig Geld habe und deshalb im Ulpan [Schule für hebräische Sprache] jedes Jahr eine oder zwei Wochen im Sommer Hebräisch unterrichte. Das war gerade eine solche Woche, wo sie in Tel Aviv unterrichten musste. Wir trafen uns jeden Tag.

Dann kam sie nach Wien zu ihrer Freundin, die damals in der israelischen Botschaft arbeitete. Beim dritten oder vierten Wiedersehen sagte ich zu ihr: ‚Lass’ uns heiraten’.

Sie antwortete:
,Okay, wann?’‚Mittwochs mache ich den Laden sowieso mittags um eins zu, machen wir die Trauung um drei, gut?’ 

Und sie sagte:
‚Aber ich will, dass du es weißt, ich bin hundertprozentig koscher.’

Ich sagte:
‚Mich stört das nicht.’

Sagte sie:
‚Aber ich will, dass in der Küche Milchiges und Fleischiges getrennt ist.’

Sagte ich:
‚Mich stört das nicht.’
‚Zu Schabbat mach’ ich aber keinen Schritt aus der Wohnung.’
‚Auch das stört mich nicht.’ Sie sagte noch ein paar solche Sachen.

Viele Monate darauf sagte ich ihr einmal:
‚Es ist doch interessant, als du mir diese Sachen gesagt hattest, warum hast du mich nicht gefragt, wie ich das mache?’

Da sagte sie:
‚Du hast die Religion gelernt, alles andere ist deine Sache.’ Freitagabend ging sie die Kerzen anzünden.

In der ersten Zeit sagte ich ihr:
‚Warum sagst du es mir nicht, dass du Kerzen zünden gehst, damit ich mir eine Kippa [religiöse Kopfbedeckung] aufsetze.’
‚Ich will keine Differenzen mit dir’, sagte sie mir.
‚Du hast es gelernt und du weißt es. Wenn du es machst, ist es deine Sache. Wenn du es nicht machst, ist es auch deine Sache.’

In der ersten Zeit fragte sie mich zu Jom Kippur [jüdische Versöhnungstag; wichtigste Feiertag der Juden]in der Früh:

‚Kommst du mit in die Synagoge, oder gehst du gleich in den Laden?’ Aber jeden Freitag Abend, am Schabbat, lud sie vier, fünf, sechs Leute ein, stellte den Wein hin und wenn ein Jude dabei war, fragte sie ihn, ob er Kiddusch [Segen über den Wein am Schabbat und an Feiertagen] machen wolle. Zu Jom Kippur waren 30 Mann bei uns am Abend. Sie hat es also zu Hause geschafft, dass der Schabbat koscher [nach jüdischen Speisevorschriften rituell; rein] war. Aber als ich sie einmal fragte:

‘Dich und deine Familie kennen so viele Leute. Wenn du mit mir ins Gasthaus essen kommst, da wird keiner denken, dass du nur Fisch isst.’ Sie antwortete:
‚Was gehen mich die Leute an, wenn mein Gewissen rein ist.’

Niemals hätte sie dafür Reklame gemacht, dass sie religiös war. Sie ging rein, schaute sich an, welchen Fisch es gab, und sie aß Fisch oder Gemüse. Und genauso ist es auch mit ihrer Tochter. Sie war hier vor zwei oder drei Tagen. Wir kommen Freitagabend nach Hause, ich gehe in den Lift, sie kommt zu Fuß hoch.

Sie sagt mir mit keinem Wort, Papa …Ich frage sie nicht danach, und sie fragt mich nicht danach. [Anm. d. Red.: Freitag ab Sonnenuntergang ist Schabbat und somit gläubigen Juden nicht erlaubt, zu arbeiten. Den Liftknopf zu betätigen bedeutet Arbeit]

Meine Frau hieß ursprünglich Vera Schwartz. Sie stammte aus Pressburg. Ungarisch verstand sie - sie sprach es nicht, aber sie verstand es. Deutsch sprach sie besser als ich. Der Vater meiner Frau war Heinrich Schwartz, ihre Mutter war eine geborene Grünsfeld. Die ganze Familie war in Pressburg sehr bekannt. Ihr Vater war Generalsekretär der Orthodoxie.

Er wohnte in Pressburg, aber er fuhr jede Woche nach Prag hinauf. Zum Ministerpräsidentenamt hatte er eine direkte Telefonleitung, also, er war ein ganz großer Mann. Als 1939 der Tiso 9 kam, wurde er zum Chef des Judentums in der Slowakei ernannt. Eineinhalb oder zwei Jahre darauf wurde er ins Gefängnis geworfen, mit der Anschuldigung, dass er den Zionisten helfe.

Er wurde gefoltert. Die Juden befreiten ihn aus dem Gefängnis und brachten ihn nach Budapest ins Városmajor-Spital, aber da war er schon sehr geschwächt. Er hatte sogar im Januar 1943 noch solche Beziehungen, dass er meine Frau, die damals sechs Jahre alt war und ihre Schwester Erika [Judassin, geborene Schwartz], die acht Jahre alt war, noch nach Israel schicken konnte.

Sie fuhren mit der Bahn zwei Wochen lang über Rumänien, die Türkei und Syrien und kamen 1943 in Palästina an. Sie wurden in ein Kinderheim gesteckt und wuchsen dort auf. Der Vater meiner Frau starb 1944 im Spital. Ihre Mutter ging von Budapest zurück nach Pressburg, denn der Großvater meiner Frau war dort Notar.

Meine Frau hat ihre Eltern nie mehr getroffen, sie hatte nur noch Fotos von ihnen. Ihre Mutter wurde 1944 nach Auschwitz verschleppt und umgebracht. So blieb meine Frau mit ihrer Schwester in Palästina. Die Schwester konnte nicht studieren, im Alter von 13 oder 14 Jahren ging sie schon arbeiten. Meine Frau hatte das Glück, dass dann ein Onkel kam, der ihr Studium finanzierte; so wurde eine Englischprofessorin aus ihr.

Als meine Frau 1964 nach Wien kam, hatte sie vielleicht außer dem Kleid, in dem sie kam, noch ein anderes, aber auch das ist nicht sicher. Aber Bücher hatte sie eine Menge. Für mich war es sehr schwer, mich daran zu gewöhnen, dass ich mit jemandem zusammenlebe. Ich war das nicht gewohnt, ich hatte immer allein gelebt.

Und außerdem hatte ich gedacht, ich heirate eine 29jährige Frau, eine Intellektuelle, die an der Universität den Doktortitel machen wird oder eine Journalistin wird. Und dann hat meine Frau immer gefragt: ‚Warum kommst du nicht zum Abendessen, es ist sieben Uhr.’ Anfangs hatten wir Differenzen, aber dann kamen wir aus miteinander. Und so haben wir ein ganzes Leben lang gelebt. Wir gehörten zueinander und jeder hat den anderen akzeptiert. Leider ist sie vor zwei Jahren gestorben.

Meine Tochter ist jetzt 32 Jahre alt, meine Beziehung zu ihr ist sehr gut. Sie ging in Wien in die französische Schule. Dann ging sie nach Israel, bekam dort eine Stelle in einer Comverse Hightech Firma und war sechs Jahre dort. Dann hat man sie gekündigt. Da sagte sie:

‚Papa, ich gehe für ein Jahr nach London Kunst lernen. Jetzt lernt sie bei Christie’s [weltberühmtes Auktionshaus] und studiert in London Kunstgeschichte.

Mein Bildersammeln begann, als meine Tochter noch das Gymnasium besuchte. Jedes Jahr gab es in der französischen Schule Anfang November Ferien, denn die Lehrer fuhren dann nach Frankreich. Wir fuhren jedes Jahr nach Amerika. Meine Frau sagte in New York:

‚Jetzt vergiss du mich für drei Tage, denn ich gehe drei Tage lang ins Museum’. Aber mir war langweilig, weil ich geschäftlich nicht mehr so viel zu tun hatte. Und da sagte ich ihr am dritten Tag:

‚Mir ist es so langweilig, ich geh’ mit dir’. Und wir gingen ins MOMA [Museum of Modern Art in New York].

Ich ging rein, und sie erklärte mir:

Das ist von dem, das ist von dem. Und ich kann mich erinnern, sie blieb bei einem Magritte 10-Bild stehen und erörterte es mir zehn, fünfzehn Minuten lang.

Daraufhin sagte ich:
‚Ich sehe, dieses Bild gefällt dir sehr, kauf’ es dir, Geld hast du genug.’ Da sagte sie:
‚Das ist doch ein Museum’.

Ich sagte:
‘Na und, dann kostet es eben etwas mehr. Dein Geld reicht dafür.’

Sie darauf:
‚Ich sag’s dir draußen’, denn es waren viele Leute um uns.
‚Ich werde es dir nachher draußen erzählen.’ Und da erklärte sie mir dann, was ein Museum ist. Da sah ich, dass ich schon 50 Jahre alt war und immer noch nicht wusste, was ein Museum ist. Ich war zuvor noch nie in einem Museum gewesen.

Das war im November 1972. Im Dezember und Januar waren wir immer in Israel. Da sagte ich ihr:
‚Da sind doch deine Freunde, die Maler, mit denen du zusammen studiert hast.’ Denn neben einem Diplom als Englischprofessorin hatte sie auch ein Kunst-Diplom. Ich ging mit ihr zu einem und sagte ihm:
‚Was kostet bei dir ein Bild.

Er antwortet:
‚200, 300 Dollar.’

Ich frage ihn:
‚Und wenn ich fünf davon kaufe?’ Denn wenn ich fünf Waggons Reis kaufe, dann ist es billiger. So habe ich angefangen. In einer Woche hatte ich so dreißig, vierzig Bilder. Ich kam nach Wien, wusste, die jungen Maler machen für 2.000 Schilling ein Bild. Dann hatten wir vierzig, fünfzig, hundert Bilder. Und meine Frau hängte alles an die Wände. Immer, wenn ich von irgendwo nach Hause kam, zum Beispiel aus dem Dorotheum 11, sagte sie:
‚Schon wieder Bilder’. Aber sie hängte alle schön auf. Da traf ich einmal einen Freund, der schon von Haus aus viel von Kunst verstanden hat. Der brachte mich zu einem Kaufmann. Der
Kaufmann sagte mir:

‚Kommen Sie in meine Wohnung, dort zeigen wir ihnen meine Sammlung’. Und dann ging ich hin und sah den Unterschied. Ich hatte bis dahin für 2.000 oder 3.000 Schilling Bilder gekauft, und als ich fragte:
‚Was hat denn dieses gekostet’, da sagte der:
‚Ich gebe Ihnen drei Bilder für 600.000 Schilling. Ich wusste nicht, was das für Bilder waren und wer sie gemalt hatte. Ich habe gesagt:
‚Ich gebe Ihnen dafür 300.000’.

Wir haben gehandelt und schließlich habe ich die Bilder für 420.000 gekauft. Da sagte ich mir, jetzt werd’ ich meiner Frau eins auswischen. Ich bringe sie nach Hause, und mal sehen, ob sie den Unterschied sieht. Meine Frau wollte erst nicht glauben, dass ich diese Bilder gekauft hatte.

Sie schaute sie sich genau an, ob sie nicht gefälscht wären, vielleicht hatte sie mir ja jemand angedreht und es hatte ein Vermögen gekostet. Sie dachte, ich würde bestimmt nicht so viel Geld für solche Sachen ausgeben. Und am Ende sah sie, dass ich es wirklich getan hatte. Ich sagte ihr, dass ich die Bilder nur gekauft hätte, um sie auf die Probe zu stellen. Meine Frau meinte: ‚Sei mir nicht böse, aber was machen wir jetzt mit dem vielen Dreck, den du bis jetzt gekauft hast?’

Das eine Bild war ein Emil Jakob Schindler 12, das andere eine Tina Blau 13, das dritte ein Carl Moll 14. Ich habe das damals nicht gewusst, aber Schindler wurde später das Zentrum meiner Sammlung. Dann kam ich darauf, dass er der Vater von Alma Mahler 15 war, denn ich las über sie ein Buch; sie hat mich sehr interessiert.

Anfangs habe ich nur solche Bilder gekauft, die mir gefallen haben   nach Meinung meiner Frau - wenn mir der Rahmen gefallen hat. Dann habe ich es langsam gelernt. Das Sammeln beginnt damit, dass man erst das Wissen darüber erwirbt.

Wenn man weiß, wer dieser Emil Jakob Schindler war und weiß, dass Emil Jakob Schindler tausend Bilder gemalt hat, davon hundert Topbilder, und man hat die Möglichkeit, sie zu kaufen...

Da ich sehr spät angefangen habe, Kunst zu sammeln, blieb ich nur bei den Österreichern und nur bei einem bestimmten Kreis. Ich habe zum Beispiel nicht begonnen, einen Picasso zu kaufen. Genauso war es mit den ungarischen Malern. Ich hatte einen Rippl Rónai und einen Vaszary 16, also das ist ein ganz kleiner Kreis. Leider habe ich die verkauft.

Meine Frau ist schwer erkrankt. Da setzten wir uns zu dritt mit meiner Tochter hin und besprachen, was zu tun ist. Wir haben ihr gesagt: ‚Deine Mutter ist krank, ich bin alt. Judaika, kannst du überall auf der Welt, wo immer du auch bist, verkaufen, die ist international.

Mit den Österreichern bist du aufgewachsen; seit deiner Kindheit bist du damit aufgewachsen. Beschließen wir, dass wir für den Fall, dass mit uns was passieren sollte, wir die ungarischen Bilder verkaufen und dafür österreichische Bilder und Judaica kaufen.’

Da sagte meine Tochter: ‘Papa, bis jetzt war es im Leben immer so, dass das was du gesagt hast, beschlossene Sache war. Da kam zufällig ein Ungar englischer Herkunft, der gab mir eine Million Dollar und ich gab ihm neun Bilder. Ich werde und kann in meinem Leben nie mehr solche ungarischen Bilder haben.

Was ich meiner Tochter hinterlasse? Wenn ich ihr eine Million Dollar hinterlasse, kann sie vielleicht nichts damit anfangen, vielleicht wird sie betrogen. Wenn ich ihr ein Bild hinterlasse, dann hinterlasse ich ihr ebenfalls 100.000 Schilling oder 200.000 Schilling. Das war der Gedanke, als ich mit meiner Frau das Buch über meine Sammlung [Die Sammlung Eisenberger] gemacht habe.

Dass meine Tochter dann vielleicht sagen wird: ‚Das verkaufe ich nicht, das steht in Papas Buch.’ Also habe ich sie psychologisch zu etwas gezwungen. Zugleich wird sie aber vielleicht Lust haben, weiter zu sammeln. So wie ich ihr nicht gesagt habe, dass sie nach London gehen soll Kunst zu lernen, und sie ging trotzdem dort hin um Kunst zu lernen. Das kommt so mit der Zeit, dass man solche Gedanken hat.

Meine Frau hatte immer Geld, aber sie hat nicht einmal hundert Dollar für ein Bild ausgegeben. Ich fragte sie:
‚Als du hierher gekommen bist, hattest du noch so viele Möglichkeiten, du konntest noch Schiele 17 und Klimt 18 kaufen’.

Da schaute sie mich an, und sagte:
‚Wozu soll man die kaufen? Ich gehe doch jeden Monat ins Museum’. Und wenn wir zu einer Vernissage gingen oder sonst wo hin, da sagte ich:
‚Schau’ wie schön dieses Bild ist, weißt du, wie viel das kostet?’.

Und sie sagte:
‚Sag’ mir nie mehr so etwas. Entweder es gefällt mir, oder es gefällt mir nicht; entweder es ist schön, oder es ist nicht schön’. In so langer Zeit hat sie nie im Leben ein Stück gekauft. Die habe alle ich gekauft. Wenn es eine Vernissage gab,

sagte ich ihr immer:
‚Geh’ du voran, denn dir kann man nichts verkaufen. Aber ich sehe an deinen Augen, was dir gefällt, und dann weiß ich, was ich kaufen will’. So lernte ich es langsam auch allein.

In Antiquitätengeschäften, im Dorotheum, überall finde ich die Sachen, und immer kommt etwas, was ich noch nie gemacht habe. Da gibt es zum Beispiel etwas, was ich in Ungarn sehr viel kaufe: Ansichtskarten von Synagogen. Ich habe davon 200 oder 300 Stück. Das ist etwa so, wie Freud 19 zum Beispiel die Psychologie hatte, dass das Leben einen Sinn haben muss. Victor Frankl 20 sagte, dass man nur für einen Tag einen Sinn braucht. Wenn ich am Morgen aufstehe, dann soll ich wissen, was ich an dem Tag mache.

Seit ich vor 15 Jahren mit dem Geschäft ein wenig aufgehört hatte, jetzt habe ich völlig damit aufgehört, mache ich mir sehr viele Gedanken. Ich lese den Talmud [wörtl: Lehre; wichtigstes nachbiblisches Buch des Judentums]. Ich lerne seit 60 Jahren Talmud.

Heute war ich auch dort, beim Rabbiner Pardess im Mizrachi [Mizrachi: religiöse zionistische Bewegung]-Haus, am Judenplatz, im 1. Wiener Gemeindebezirk. Der Rabbiner, bei dem ich lerne, ist ein sympathischer, kluger, aufgeklärter Mensch. Jede Woche gehe ich zweimal lernen. Ich kenne die ganze jüdische Geschichte, alle Einzelheiten.

Die großen spanischen Rabbiner, wie zum Beispiel Maimonides 21 hatten weltweite Beziehungen. Keiner von ihnen flüchtete nach Palästina. Aus Spanien sind die Juden geflüchtet nach Amsterdam, in die Türkei, nach Griechenland. Es musste ein Herzl 22 kommen, der hat zwei Sachen gesagt: Erstens, wir haben ein Land und zweitens, die Reichen sollen die Fahrt der Armen bezahlen. Dass das Eintausend oder Zweitausend Jahre lang keinem großen jüdischen Gelehrten eingefallen ist… kann man das verstehen?

Ich kann hier als Jude leben, ich kann nur nicht sagen, dass ich Österreicher bin. Die Juden in Österreich sagen alle von sich, dass sie österreichische Juden sind. Die Juden in Frankreich sagen, dass sie französische Juden und die Juden in Ungarn sagen, dass sie ungarische Juden sind. Nur wird kein Ungar sie jemals als Ungarn anerkennen

‚Wir sind das auserwählte Volk’ – das ist eine Lüge. Ich habe noch keinen einzigen auserwählten Menschen unter den Juden gefunden. Und es ist eine Lüge, dass der Messias kommen wird. Die haben ja sogar noch vor den Gaskammern gesagt, dass der Messias kommen wird. Also das ist eine große Lüge..

Ich hatte hier im Jüdischen Museum meine Judaicasammlung ausgestellt mit dem Titel: ‚... möchte ich ein Österreicher sein’. Da haben mich 40 Journalisten gefragt: Warum?  Da sagte ich: ‚Ich bin jetzt so und so viele Jahre hier, habe so und so viele Steuern bezahlt, habe so und so vieles für dieses Land getan. Und ich habe noch keinen Österreicher getroffen, der mich für einen Österreicher hält. Was soll ich noch machen, wie lange soll ich noch hier sein, damit mich jemand für einen Österreicher hält?’

Wir können weder mit den Ungarn, noch mit den Österreichern, noch mit den Arabern zusammenleben. In Israel schreien wir immer, dass wir Frieden wollen… Doch was für einen Frieden, wenn du nicht mit ihnen zusammenleben kannst, was für einen Frieden willst du? Dass sie machen, was du willst? Das ist ja auch ein Friede.

Wenn ich jeden Tag die hebräischen Zeitungen lese, fasse ich es nicht. Ich war 36 Jahre lang Lebensmittelhändler. Ich hatte immer Konkurrenz; kleinere und größere. Aber wenn ich mich mit dem Billa-Besitzer [Lebensmittelkette] an einen Tisch gesetzt habe, stand ich so auf, dass wir uns einig waren - wenn nicht heute, dann die nächste Woche. Das gibt es nicht, mit Menschen nicht einig werden.

Mit allen und allem muss man Kompromisse schließen. Wenn man mit jemandem keine Kompromisse schließen kann, kann man mit ihm nicht zusammenleben. Es gibt keinen solchen Frieden a la ,du sollst es so machen, wie ich es will’. Aber das liegt in unserer tausendjährigen Erziehung, dass wir klüger sein wollen. Und der Wohlstand hat schon mehr Menschen zu Grunde gerichtet, als die Armut.

Ich habe mich aus dem ganzen Leben ausgeschlossen. Ich gehe weder bei den Juden wählen, noch bei den Österreichern, noch bei den Israelis. Ich fahre nach Israel so wie die Amerikaner, weil dort die Sonne scheint. Ich liebe Österreich, weil es wunderschön ist, es ist angenehm hier zu leben.

  • Glossar:

1 Tokajer Wein: berühmter ungarischer [oder slowakischer Wein], der aus dem Tokajer Weingebiet stammt und der zu den Dessertweinen gezählt wird.

2 Neologes Judentum: eine gemäßigte Reformbewegung im Judentum, wird zu der  
'Konservativen Strömung' gezählt, die zwischen dem Orthodoxen und dem Liberalen Judentum angesiedelt ist. Das neologe Judentum hat sich im späten 19. Jahrhundert in Ungarn entwickelt.

3 Chassidismus: Der Chassidismus im osteuropäischen Judentum entstand als Reaktion auf die Pogrome unter Führung des Kosaken Chmelnizki im Jahre 1648, als in Osteuropa über 700 jüdische Gemeinden vernichtet wurden. Neben dem Wert des Studiums der Tora und der mündlichen Überlieferung [Talmud, Kommentare] betont der Chassidismus das persönliche und gemeinschaftliche religiöse Erlebnis. Begründer des Chassidismus ist Israel ben Elieser [1698-1760], genannt Baal Schem Tow.

4 Löw, Immanuel (1854-1944): ungarischer Rabbiner und Botaniker. Sein Werk 'Die Flora der Juden'; beschreibt und erforscht die Pflanzenwelt in der Bibel und den Stellenwert der Pflanzenwelt in jüdischen Gesetzen und Legenden.

5 Sonderkommando Auschwitz: bestand aus jüdischen Häftlingen des KZ, die dazu gezwungen wurden, die Ermordung und die Verwertung der Opfer durchzuführen. Am 7. Oktober 1944 wurde ein Aufstand der Häftlinge des Sonderkommandos von den Bewachern blutig niedergeschlagen und 451 wurden ermordet. Drei überlebten. Insgesamt mussten etwa 2200 Häftlinge im Sonderkommando arbeiten. Von diesen erlebten nur 110 das Kriegsende.

6 Pfeilkreuzler: 1937 aus der von Ferenc Szalási gegründeten 'Partei des nationalen Willens' hervorgegangene faschistische Bewegung. Nach dem Versuch der Regierung unter Miklós Horthy, einen Separatfrieden mit den Alliierten zu schließen, übernahmen die Pfeilkreuzler im Oktober 1944 die Macht in Ungarn.

Mit ihrer Hilfe wurde von den Deutschen im November 1944 die zweite Deportationswelle durchgeführt. In Terroraktionen ermordeten Pfeilkreuzler
bis zur Befreiung durch die sowjetische Armee im Januar 1945 noch mehrere Tausend Budapester Juden.

7 Szalasi, Ferenc (1897-1946): ungarischer faschistischer Parteiführer und Kriegsverbrecher. Begründer der rechtsextremen 'Partei des nationalen Willens', aus der 1937
die Pfeilkreuzler hervorgingen.

Nach dem Rücktritt von Miklós Horthy 1944 wurde Szálasi im noch nicht von sowjetischen Truppen besetzten Landesteil von der deutschen Besatzungsmacht zum Ministerpräsidenten erklärt. Szalasi wurde nach Ende des Krieges zum Tode verurteilt und hingerichtet.

8 Der Zionismus ist eine während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene jüdische National-Bewegung, die sich für die Entstehung eines eigenen jüdischen Staates in Palästina einsetzte. Der Begriff wurde 1890 von dem jüdischen Wiener Journalisten Nathan Birnbaum geprägt.

Der Beginn des modernen Zionismus wird oft auf Theodor Herzls Werk ‚Der Judenstaat’ [1897] festgelegt. Bis zur Schoah während des 2. Weltkriegs war der Zionismus nur eine kleine Strömung innerhalb des Judentums.

9 Rippl-Ronai, Jozsef (1861-1927): Ungarischer Maler; gilt als erster ungarischer 'Moderner'. Die Orte seines Schaffens: die Metropole Paris und das ländliche Idyll der ungarischen Provinz.

10 Tiso, Jozef (1887-1947): katholischer Priester und Politiker und Politiker der der klerikal-nationalistischen Slowakischen Volkspartei. Ab 1938 Vorsitzender der Partei und Ministerpräsident der vorerst autonomen Slowakei. Mit der Entstehung der unabhängigen [von Deutschland abhängigen] Slowakei 1939 wurde er zu deren Ministerpräsident und Präsident. Tiso wurde 1947 zum Tode verurteilt und hingerichtet..

11 Magritte, René François Ghislain (1898-1967): belgischer Maler; zählt zu den wichtigsten Vertretern des Surrealismus

12 Dorotheum: das größte Auktionshaus in Mitteleuropa und im deutschsprachigen Raum;1707 gegründet.

13 Schindler, Emil Jakob (1842-1892): einer der berühmtesten Landschaftsmaler Österreichs; prägte den Begriff: poetischer Realismus'. Schindler war der Vater von Alma Mahler-Werfel

14 Blau-Lang, Tina (1845-1916): österreichische Landschaftsmalerin, Vertreterin des österreichischen 'Stimmungsimpressionismus'.

15 Moll, Carl (1861-1945): österreichischer Landschafts-, Interieur- und Stilllebenmaler. Schüler und Assistent des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler. Moll war Mitbegründer der Wiener Secession, aus der er 1905 mit der Klimt-Gruppe austrat. In den 30er Jahren wurde Moll zu einem überzeugten Nationalsozialisten. 1945 nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen beging
er Selbstmord.

16 Mahler-Werfel, Alma Maria (1879-1964):

Persönlichkeit der Kunst- und Musikszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.; Tochter des Malers Emil Jakob Schindler, ab 1902 Ehefrau von Gustav Mahler. Nach dem Tod Mahlers (1911) hatte Mahler-Werfel eine Beziehung mit dem Maler Oskar Kokoschka; 1915 heiratete sie den Bauhaus-Architekten Walter Gropius.

Nach der Scheidung heiratete sie 1929 den Dichter Franz Werfel; sie emigrierte mit ihm nach Frankreich und in die USA. Werfel; sie emigrierte mit ihm 1938 nach Frankreich und 1940 in die USA. Ihr Salon war im Wien der Zwischenkriegszeit Treffpunkt für zahlreiche Künstler und Intellektuelle.

17 Vaszary, János (1867-1939): ungarischer Maler. In den Jahren um die Jahrhundertwende gilt er, wie Rippl-Rónai, als Jugendstil-Meister. Nach 1914 als Kriegsmaler tätig.

18 Schiele, Egon (1890-1918):

Maler und Graphiker, einer der bedeutendsten österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts, zählt neben Gustav Klimt zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der 'Wiener Moderne'. Schiele entwickelte unter dem Einfluß von Klimt und der ostasiatischen Kunst einen unverwechselbaren Stil: Er verband eine ornamentale Flächengliederung mit expressiver Bildsprache. Schiele starb 28jährig an der Spanischen Grppe.

19 Klimt, Gustav (1862-1918):

österreichischer Maler; einer der berühmtesten Vertreter des Wiener Jugendstils. 1897 gehörte er zu den Gründern der Wiener Secession und war bis 1899 deren erster Präsident. 1905 trat er auf Grund von Meinungsverschiedenheiten zwischen 'Naturalisten' und 'Stilisten' gemeinsam mit anderen Künstlern aus der Vereinigung aus.

20 Freud, Sigmund (1856-1939): österreichische Neurologe und  Tiefenpsychologe; Begründer der theoretischen und praktischen Psychoanalyse. Gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Emigrierte 1938 nach England.

21 Frankl, E. Viktor (1905-1997):

österreichischer Neurologe und Psychologe; Bergründer der Logotherapie bzw. Existenzanalyse. 1944 wurden Frankl, seine Frau und auch seine Mutter nach Auschwitz deportiert. Seine Mutter und seine Frau wurden in KZ ermordet. 1946 wurde Frankl zum Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik berufen. Er begründete die österreichische Ärztegesellschaft für Psychotherapie und war deren erster und einziger Präsident.

22 Maimonides, Moses [eigentlich Mosche ben Maimon, genannt Rambam; 1135-1204]:

in Cordoba geborener jüdischer Philosoph, Arzt und Rechtsgelehrter. In seinem Hauptwerk 'Führer der Unschlüssigen'; (1190 vollendet) schlägt er eine allegorische Lesart der Glaubenslehren vor, um den Widerspruch zwischen offenbartem Wort und philosophischer wie naturwissenschaftlicher Erkenntnis aufzulösen. Seine Ideen beeinflußten u. a. Spinoza, Leibniz und Maimon. Er starb 1204 in Kairo.

23 Herzl, Theodor (1860-1904):

jüdisch-österreichisch Schriftsteller, Publizist, Journalist und zionistischer  Politiker. Als Korrespondent der Wiener Tageszeitung 'Neue Freie Presse' Zeuge des Prozesses gegen Alfred Dreyfuß schrieb er 1896 sein Buch 'Der Judenstaat', das wesentlich zur Gründung des Staates Israel beitrug.

Herzl forcierte die Idee einer organisierten Emigration von Juden in einen eigenständigen Staat und initiierte den politischen Zionismus. 1897 auf dem 1. Zionistischen Weltkongress in Basel wurde Herzl zum Präsidenten der zionistischen Weltorganisation gewählt.